© Eduard Erhart 2024
OHeilende Zärtlichkeit Der heilende Schmerz Es gibt kein Leiden – es gibt nur Freude, die weh tut  (neben der, die nicht weh tut). Das ist für mich eine der tiefsten Wahrheiten, die ich für mich gefunden habe. Freudegefühle in vielfältigen Ausdrucksformen – von der Freude, die ausgelassen und jubelnd macht, über die Freude, die uns froh und still werden lässt, bis zu einer Freude, die sehr schmerzhaft und traurig sein kann – sind die einzigen Gefühle, die wir „eigentlich“, in Wahrheit haben, die in Wirklichkeit hinter allen Gefühlen, die wir kennen, stehen, in die sich alle anderen Gefühle, die wir fühlen, verwandeln lassen. „Freudige Freude“ und „freudiger Schmerz“ sind die einzigen unserer Gefühle, die wirklich unverzerrt und authentisch sind.  In allem, was wir erleben, begegnen wir im Kern nichts anderem als unserer Freude. Wir fühlen sie aber oft erst dann, wenn sich gerade etwas Außergewöhnliches für uns erfüllt. Dabei ist sie genauso auch dann in uns, wenn gerade nur die ganz normalen alltäglichen Dinge geschehen.  Vor allem aber ist sie selbst dann und sogar besonders stark dann in uns, wenn sich gerade unsere Wünsche nicht erfüllen.  Denn die Freude an dem, wodurch für uns das Leben wertvoll wird, lebt immer in uns, unabhängig davon, was gerade im Außen geschieht. Wir müssen „nur“ unsere Wahrnehmung dafür erst einmal in uns entwickeln. Sie steckt in allen unseren Regungen, sie spiegelt sich in allen unseren Reaktionen wider, denn mit allen bewerten wir in irgendeiner Weise das, was wir erleben. Egal wie unsere Bewertungen ausfallen, die Bezugsgröße dahinter ist immer das, was unserer innersten, wahrsten Freude entspricht. Es sind unsere tiefsten Wünsche, die uns letztlich in allem lenken, die Wünsche „hinter“ unseren Wünschen, die, die es in Wahrheit sind, die, die wir wirklich „sind“.  Mit ihnen in Kontakt zu kommen, ist allerdings nicht immer einfach, weil wir so oft von einer Angst vor schmerzhaften Gefühlen geleitet sind und deshalb so viele andere, weniger schmerzintensive Wünsche über unsere eigentlichen Wünsche legen. Dann können die Wünsche, die wir wahrnehmen, nur oberflächlich oder verfälscht und sogar bis in ihr Gegenteil verkehrt sein. Dann glauben wir an Wünsche, die uns nur indirekt das zeigen, was wir uns in Wahrheit wirklich wünschen.  Wir können mit unserem Schmerz im Widerstand gegen das sein, was uns begegnet – wir können mit unserem Schmerz aber auch mit dem sein, was wir uns stattdessen so sehr von Herzen wünschen. So lange wir im Widerstand sind, so lange wir nur mit dem, was wir nicht möchten, verbunden sind, droht das Fühlen des Schmerzes uns nach unten zu ziehen, die Kraft zu rauben, uns hart und eng werden zu lassen und auf diese Weise unglücklich zu machen. Denn unser Widerstand bringt uns leicht in eine Opferrolle, die uns scheinbar machtlos sein lässt, woraus wir uns wiederum nur mit Anklagen und Gegenangriffen glauben ein wenig befreien zu können. Sind wir hingegen mit der Freude unserer wahren Herzenswünsche verbunden, kann sich unser Schmerz ganz anders anfühlen – kann er etwas Weiches, Schmelzendes, Kribbelndes, Strömendes, sanft Durchdringendes, etwas Süßes, Tröstendes, zutiefst Selbstverbindendes und Erfüllendes und dadurch etwas uns enorm in unsere Kraft Bringendes bekommen.  Wir müssen aber unsere Widerstände – wie auch alles andere im Leben – nicht „einfach nur“ loslassen, sein lassen, wegmachen, ausschließen oder verbannen und stattdessen etwas anderes machen. Wir können vielmehr die wertvolle Energie, die in ihnen liegt, nutzen, indem wir sie deutlich fühlen und sie dann verwandeln. Denn in jedem Widerstand, in jedem Nein, das wir haben, steckt ein Ja, ein Ja zu etwas Anderem, zu einem Gegenstück. Die Energie unseres Neins kann zugleich auch die Energie unseres Jas sein. Wir fürchten jedoch dieses Ja so oft mehr als unser Nein, denn der Schmerz im Ja kann stärker, tiefergehender – weil herzverbundender – sein, als der Schmerz im Nein.  Gehen wir fühlend und forschend von unseren Widerständen, von dem, was wir nicht möchten, zu dem, was wir möchten, und von hier aus weiter zu dem, was wir wirklich möchten, und verweilen wir dann intensiv fühlend bei der Schönheit dieser Herzenswünsche – ohne uns durch Anklagen an andere wieder von dieser Schönheit zu entfernen – können unsere Gefühle uns so stark mit der Freude in unseren Wünschen verbinden, dass gerade diese Freude scheinbar unerträglich weh tun kann. Ja, der Schmerz, wenn wir uns etwas so von Herzen wünschen, kann uns als viel heftiger erscheinen als jeglicher Schmerz, den wir fühlen, wenn wir etwas ablehnen. Doch es fühlt sich nur so an. In Wahrheit können wir unsere mit unserer Freude verbundenen Herzensschmerzen sehr gut tragen, werden sie uns niemals in einer zerstörerischen Weise, sondern nur in einer uns innerlich aufbauenden Weise überwältigen. Deshalb brauchen wir uns niemals vor der Überwältigung durch diese Gefühle fürchten. Dies gilt, solange wir sie nicht mit Anklagen und Beschuldigungen vermischen. Und dies gelingt uns dann, wenn wir immer wieder in unseren Anklagen einfach nur einen Ausdruck unserer Wünsche sehen, auf die wir uns wieder und wieder aufs Neue fokussieren können. Und dabei hilft es uns sehr, wenn wir realisieren, dass sich unsere Wünsche nicht erfüllen müssen – dass sie sich allein durch das reine Fühlen und durch unseren Glauben an ihre Berechtigung und ihre potentielle Gegenseitigkeit bereits ein Stück weit in uns erfüllen.  Der Sinn unserer Schmerzen ist nicht nur der, uns zu einem bestimmten Handeln zur Erfüllung unserer Wünsche zu bewegen oder uns vor etwas zu schützen, sondern zunächst einmal uns ganz stark mit uns selbst, mit unserer innersten Wahrheit zu verbinden. Das ist ihre wichtige seelische Funktion. Denn mit dieser starken Selbstverbindung erfüllt sich bereits das, was für uns das Essentiellste ist – die vollkommene Selbstverbundenheit. Sie ist tatsächlich unser wichtigstes Bedürfnis, das was wir am aller grundlegendsten brauchen, was uns am nachhaltigsten glücklich macht.  Von angespannten, harten, abwehrenden Schmerzen müssen sie sich dafür zu schmelzenden, strömenden, empfangenden Schmerzen wandeln, müssen sich auf das beziehen, was uns Freude macht, was wir so gerne möchten, und nicht auf das, was wir ablehnen, nicht möchten. Es sind diese Art „Freudenschmerzen“, die Schmerzen der Fülle, die wir allen voran am meisten meiden – und die doch zugleich das Stärkste sind, was wir zu unserer Heilung haben. Solche Schmerzen sind nicht ein bloßes Symtom dafür, dass etwas aus dem Gleichgewicht ist, dass etwas nicht verwirklicht ist, sie sind mit der Freude, die in ihnen zugleich lebt, die innere Verwirklichung und somit der Heilungsvorgang selbst.  Erst wenn wir im Innersten unseres Schmerzes unsere tiefste Freude erkennen und fühlen, wenn all unsere Tränen in ihrem wahrsten Gehalt „Freudentränen“ sind, haben wir die notwendige Voraussetzung dafür geschaffen, dass das Fühlen schmerzhafter Gefühle für uns einerseits aushaltbar und andererseits tatsächlich auch heilend sein kann. Heilung ohne durch unsere Schmerzen zu gehen, ist zwar ein Wunsch, den so viele Menschen haben und dem deshalb auch viele therapeutische Ansätze nachzukommen versprechen, der aber aus meiner Sicht und Erfahrung nicht unserem Menschsein entspricht und sich deshalb niemals erfüllen wird. Doch nur als „freudige Schmerzen“ können wir unsere Schmerzen so anhaltend und in all der Heftigkeit und zugleich in ihrer wirklichen Tiefe fühlen, wie wir es für unsere Ganzwerdung brauchen. Es kann niemals darum gehen zu lernen, niederdrückende, „negative“ schmerzhafte Gefühle auszuhalten, um sie dadurch irgendwie „abzuarbeiten“. Sie können für uns nur ein Durchgang sein, der uns dorthin führt, wo in uns ein Schmelzen beginnt und die Freude aus dem tiefsten Ursprung des Schmerzes aufzusteigen beginnt.  In Wahrheit wünschen wir uns nicht wirklich Schmerzlosigkeit, sondern einen Schmerz, der sich nicht nach Anspannen, sondern nach Lösen, nicht nach Mangel, sondern nach erfüllendem Sehnen, nicht nach Selbst-Verlust, sondern nach unserem wahren Selbst und dadurch „gut“ anfühlt und uns so aufzubauen, in unsere volle Kraft zu bringen vermag. In einen solchen heilenden Schmerz können wir uns vollkommen fallen lassen und uns in ihm sicher fühlen, denn er kann uns niemals in eine Retraumatisierung bringen. Denn als traumatisierend erleben wir Gefühle und Ereignisse nur dann, wenn wir uns in einer abwehrenden und anklagenden Haltung befinden, und niemals dann, wenn wir mit voller Intensität und Freude mit unserem innigsten Sehnen, wenn wir unerschütterlich mit unserer inneren Wahrheit verbunden sind.  Es gibt keinen schmerzfreien Weg zur Gesundheit. Dies gilt für den seelischen wie auch für den körperlichen Schmerz. Seele und Körper sind auf engste miteinander verwoben, beides ist eins. So macht es auch für den Prozess des Heilwerdens keinen grundsätzlichen Unterschied, von welcher Ebene die Verletzung oder Störung kommt.   Schmerzen, Spannungen und krankhafte Symtome aller Art entstehen in den Momenten, in denen sich unsere Lebensenergie als weiche, strömende, zärtliche und kraftvolle Gefühle überaus dringend durch unseren ganzen Körper bewegen und ausdrücken möchte und daran gehindert wird. Begegnen wir unseren Symptomen mit der Vorstellung, dass sie nichts anderes als unsere wundervolle kribbelnde Lebensenergie sind, die unsere wahrsten Gefühle in sich trägt, die sich immer auf genau das beziehen, was für uns die Schönheit des Lebens ist, kann allein schon dieses innere Bild und die Vorstellung eines Weich- und Weitwerdens und Dahinschmelzens uns dahin führen, die erstarrte Energie wieder in Bewegung und dadurch in ihre Kraft zu bringen. Berührung - sanft und liebevoll lebendige, schwingende, pulsierende - kann uns in diesem Prozess auf wunderbare Weise unterstützen. Wenn wir dann noch gezielt nach dem suchen, was wir uns jetzt gerade aus tiefstem Herzen sehnlich wünschen, kann sich die durch unseren Körper strömende Energie damit verbinden und so in uns das „wahr werden“ lassen, was wir wirklich sind. nach oben